Willem
de Haan:
Aus: Ade, mein Weib, lebwohl Paris.
Schauspiel zu Heinrich
Heine
015 Heine, Mathilde, Catherine, Krinitz,
Hölderlin
Catherine übt Bewegungen mit Heines
rechter Seite, mit dem rechten Arm und Bein, massiert aber auch die
linke gelähmte Seite. Sie zieht ihm sein Hemd aus und legt ihn am Ende
auf den Bauch. Sie reibt seine Beine und seinen Rücken mit einer öligen
Flüssigkeit ein und versorgt seine offenen Rückenwunden. Heine hustet
diesmal nur leicht, aber stoßweise. Es klingelt es an der Tür.
Catherine legt ein Tuch über Heine und geht zur Tür. Sie öffnet, etwas
genervt:
Bonjour Madame, bitte?
Elise
Krinitz: Guten Tag, ich möchte den Dichter Heine sehen und sprechen.
Ich habe eine Überraschung für ihn.
Catherine:
Doktor Heine ist schwer krank, Sie stören uns mitten in einer
medizinischen Behandlung. Ich fürchte …
Heine
ruft von innen: Wem gehört diese schöne Stimme?
Catherine:
Eine Dame mit einem deutschen Akzent. Ich schicke sie weg.
Heine:
Nein. Sie soll warten.
Catherine ist
unschlüssig; Frau Krinitz sagt (mit einer Halsverrenkung auf
Zehenspitzen) erkennbar absichtlich so laut, dass er auch von Heine zu
hören ist: Ich gehe noch einmal zu meiner Kutsche und hole meine
Begleitung herauf. Das dauert höchstens drei Minuten. Ist das recht?
Catherine
trocknet Heine ab, kleidet ihn u.a. mit seinem Lieblingshausmantel an
und setzt ihn in einen Sessel. Es klingelt wieder. Frau Krinitz kommt
und hält einen alten Mann an der Hand, der sehr unsicher wirkt und
einen alten Koffer trägt. Die Frau nimmt dem Mann den Hut ab und
ermutigt ihn, mit ihr in das Wohnzimmer zu treten. Er zögert sehr.
Heine
ruft erstaunt: Hölderlin! Auch mit einem Auge erkenne ich Dich sofort!
Sei mir willkommen, Fritz! Hast Du mir einen schwäbischen Wein
mitgebracht oder wenigstens ein paar neue Gedichte?
Hölderlin
stolpert auf Heine zu und kniet vor ihm; die Geste ist übertrieben
demütig und dankbar. Heine legt ihm die Hand auf die Schulter und
tätschelt ihn. Kleine Pause: Bleib bei mir, Fritz, deine Nähe wird mir
wertvoll sein. Setz dich auf mein Bett. Du musst nicht sprechen. Hier
kannst Du schweigen.
Catherine ist verzweifelt.
Sie will Hölderlin ein Glas Wein bringen, aber er nimmt es nicht.
Heine
spricht Frau Krinitz an: Ich grüße Sie, schöne Frau! Sie bringen alte
Dichter zusammen. Danke. Aber gilt er nicht schon ein paar Jahre für
tot?
Krinitz: Es ging nicht anders: Ich habe ihn
aus Tübingen mitgenommen, heimlich natürlich. Begraben haben sie einen
anderen, einen Landstreicher. Hölderlin war die ganze Zeit bei mir, -
auch in einer Art Exil.
Als Mathilde erscheint:
Heine:
Cherie, wir haben einen neuen Hausgast: Mein Dichterfreund Hölderlin
bleibt bei uns.
Mathilde will dem alten Dichter
die Hand geben. Der sieht sie nur scheu an, steht auf, verbeugt sich
tief und küsst ihr den Kleidersaum.
Mathilde:
Bonjour Mademoiselle. Sie sind seine Tochter?
Krinitz:
Bonjour Madame! Nein, ich bin nur zufällig seine Begleiterin geworden.
Ich wollte aber auch den großen Dichter Heine sehen.
Mathilde
ironisch: Und – dürfen wir Sie auch als Hausgast hier behalten?
Heine
improvisiert: Nein, die Dame macht mir das Angebot, mir vorzulesen.
Welchen Namen müssen wir uns merken?
Krinitz:
Elise Krinitz. Oder Camilla Selden – das aber nur als Pseudonym.
Heine:
Sie schreiben Liebesromane?
Krinitz: Nur wenn
ich gerade einen erlebt habe. Sonst mehr Gedichte, wie fast jeder
Deutsche. Aber ich kann auch recherchieren und Texte abschreiben … was
Sie wollen – in beiden Sprachen.
Heine: Darf ich
auch Ihr Haar riechen?
Krinitz lacht und
streicht unwillkürlich ihr Haar zurück, was keine erkennbare Wirkung
hat, denn ihr langes rotes Lockenhaar scheint sich strahlenförmig
auszubreiten. Ihr Kleid wird Mathilde als gewagt empfinden.
Mathilde:
Kannst Du Dir noch eine Sekretärin leisten?
Krinitz:
Ich will keinen Lohn. Nur meinen Lieblingsdichter sehen und hören – und
ihm dienen.
Mathilde: Hm. Trinken wir erst mal
ein Tässchen Schokolade. Kommen Sie beide!
Aber
Hölderlin geht zum Fenster und schaut hinaus; Frau Krinitz folgt
Mathilde in die Küche.
Krinitz: Sie sind sehr
freundlich, Madame.
Mathilde: Und Sie sind mir
etwas zu hübsch für eine Vorleserin.
Krinitz
lacht und nimmt sich den Hut ab: Ach, das machen nur die Schminke und
die Aufregung. Aber ich glaube, Hölderlin muss erst mal aufs Klo. Ist
das im Treppenhaus?
Als Mathilde nickt, zu
Hölderlin: Euer Wohlgeboren, darf ich bitten: Pusch, pusch!
Hölderlin
hört auf sie und kommt mit ausgestreckter, waagerecht gehaltener Hand
zu ihr.
...
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